Berlin – «Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich», steht im
Grundgesetz. Doch erst seit 1994 ist der Staat auch verpflichtet,
dafür zu sorgen und zu fördern, dass Mann und Frau tatsächlich
gleichberechtigt sind.
Ein Vierteljahrhundert später ist
Diskriminierung in vielen Vorschriften tatsächlich beseitigt. Doch
noch immer gibt es Regelungen, bei denen Frauen das Nachsehen haben.
Die Frauenpolitiker der großen Koalition sehen politischen
Handlungsbedarf: Trotz Elterngeld, der Quote für Frauen in
Führungspositionen, Mindestlohn und Rückkehrrecht auf vorherige
Arbeitszeit liefen Frauen «noch immer Gefahr, ihre Möglichkeiten
nicht voll ausschöpfen zu können», kritisiert der SPD-Abgeordnete
Sönke Rix. Marcus Weinberg von der Unionsfraktion betont: «Auch im
Jahr 2019 gibt es noch Beispiele, bei denen der Staat Frauen und
Männer ohne Grund ungleich behandelt.» Eine Auswahl aus Sicht der
frauenpolitischen Sprecher im Bundestag:
Tampon-Mehrwertsteuer
Auf Hygieneartikel für Frauen, also Tampons,
Binden und Menstruationstassen, fallen 19 Prozent Mehrwertsteuer an –
dabei sollen wichtige Güter des täglichen Bedarfs eigentlich mit dem
reduzierten Satz von 7 Prozent besteuert werden. Letzlich zahlt man
für Kaviar, Schnittblumen und Kunstgegenstände so weniger Steuern als
für Hygieneartikel, auf die Frauen im Alltag angewiesen sind. «Das
ist eine Benachteiligung von Frauen, die wir abschaffen sollten»,
fordert Weinberg. «Damenhygiene gehört zum Grundbedarf von 50 Prozent
der Bevölkerung und wird besteuert wie ein Luxusartikel.»
Mehr als 120.000 Menschen haben in den vergangenen Jahren eine
Petition zur «Tampon Tax» im Internet unterschrieben. Die hohe
Besteuerung von Tampons und Binden sei als «fiskalische
Diskriminierung von Frauen» verfassungswidrig, argumentieren
Nanna-Josephine Roloff und Yasemin Kotra, die die
Petition
eingereicht haben. «Wie soll Frau ihre Periode vermeiden?»
Ehegattensplitting
Experten sehen diese Steuerregel als eine Ursache
dafür, dass sich Frauen gegen einen Vollzeit-Job entscheiden. Wenn
die Einkommen beider Partner zusammen veranlagt werden, zahlen Frauen
oft schon ab dem ersten Euro den hohen Steuersatz des Mannes –
zumindest, wenn sie weniger verdient als er. Das Ehegattensplitting
begünstige «die Spezialisierung in der Ehe im Sinne der
Erwerbstätigkeit des einen Partners und der Bereitstellung häuslicher
Dienste durch den anderen Partner», heißt es in einem Gutachten des
wissenschaftlichen Beirats des Finanzministeriums.
Das Gunda-Werner-Institut der Grünen-nahen Heinrich Böll Stiftung
kritisiert, die Regelung konserviere die «Einverdienst- und
Hausfrauenehe». Auch Rix sieht Handlungsbedarf: «Das
Ehegattensplitting wird den heutigen Rollenvorstellungen junger Paare
nicht mehr gerecht», sagt er. «Es sollte deshalb für alle Neu-Ehen
reformiert werden.»
Formulare
Frauen werden in Familienbüchern und Heiratsurkunden an
zweiter Stelle genannt. Genauso in der Einkommensteuererklärung –
selbst wenn die Frau Hauptverdienerin ist. Das sorgte kürzlich für
Aufsehen: Eine Hamburgerin trug sich als erste steuerpflichtige
Person in der Kategorie «Ehemann» ein – und ihren Mann als zweites.
Im Finanzamt mussten die Daten händisch umtragen werden – was den
Steuerbescheid für die Familie verzögerte. Der Mann forderte viel
kommentiert im Internet modernere Formulare. Das für die Software
zuständige Landesamt für Steuern in Bayern betonte, die bundesweit
vorgegebene Reihenfolge sei Zufall und keine Wertung.
Elternzeit
Kinder wirken sich auf die Arbeitsmarktchancen von Frauen
anders aus als auf die von Männern. Studien zufolge verdienen Mütter
weniger und werden seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen als
Frauen ohne Kind. Bei Vätern ist es umgekehrt. Das
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hat herausgefunden,
dass auch die Länge der Elternzeit überraschende Auswirkungen hat:
Frauen mit kurzer Elternzeit werden seltener zum Vorstellungsgespräch
eingeladen. Dabei könnte man gerade ihnen viel Ehrgeiz im Beruf
zuschreiben. Nötig sei «schlichtweg die Erkenntnis, dass Männer in
Elternzeit nicht süß sind, sondern eine Bereicherung, auch für die
Arbeitgeber», fordert die FDP-Frauenpolitikerin
Nicole Bauer.
Verdienst
Obwohl immer mehr Frauen arbeiten, verdienen sie in vielen
Berufen weniger als Männer. Mit 21 Prozent hat Deutschland laut
Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) beim Stundenlohn
eine der größten Verdienstlücken in Europa – vor allem in Berufen mit
langen Arbeitszeiten. Helfen sollte eigentlich das
Entgelttransparenzgesetz: Jeder soll erfahren können, was die
Kollegen verdienen. Doch einen Auskunftsanspruch hat nur, wer in
einem Betrieb mit mindestens 200 Angestellten arbeitet und mindestens
sechs Kollegen des anderen Geschlechts mit gleichwertigem Job hat.
Die Linke-Abgeordnete Sabine Zimmermann fordert «Entgeltsysteme, die
gleiches Geld für gleichwertige Arbeit garantieren».
Ulle Schauws von den Grünen stört noch etwas anderes: «Über Gesetze,
die vor allem Frauen betreffen, wird völlig anders diskutiert», sagt
sie. Ginge es beim Abtreibungs-Paragrafen 219a um Männer, «gäbe es
diese Stimmen so nicht, die die Entscheidungsfähigkeit der Patienten
anzuzweifeln».
Fotocredits: Christin Klose
(dpa)