Aus der Geschichte gibt es viele Beispiele, wo der Staat sich mit Hilfe von Inflation von seinen Schulden befreit. Die jüngere deutsche Vergangenheit kennt mit der Hyperinflation der 1920er Jahre und der Geldentwertung nach dem Zweiten Weltkrieg zwei solcher Fälle. Das Anwerfen der Notenpresse ist aber nicht die einzige Möglichkeit, auch ein anderer Weg führt zur Entschuldung: die Finanzrepression. Nicht wenige erkennen in der derzeitigen Geldpolitik eine solche Absicht.
Finanzrepression: schleichende Umverteilung
Was bedeutet Finanzrepression? Damit wird allgemein eine Politik bezeichnet, die gezielt versucht, die Zinsen längere Zeit unterhalb der Inflationsrate zu halten. Wenn das gelingt, erleiden Schuldengläubiger einen Kapitalverlust, denn ihre Forderungen werden im Zeitablauf real immer weniger wert. Schuldner können sich dagegen freuen, denn ihre Verbindlichkeiten verringern sich real ebenfalls. Finanzrepression bedeutet daher gleichzeitig auch Umverteilung. Kapitalbesitzer werden de facto schleichend enteignet, während Schuldner einen Vermögenszuwachs erleben. Nutznießer ist insbesondere der Staat als in der Regel größter Schuldner. Im Unterschied zur Hyperinflation, die eine sehr schnelle Entschuldung bewirkt, findet die Finanzrepression nur allmählich statt und ist ein langjähriger Prozess.
Fortgesetzte Niedrigzinspolitik der EZB
Die Europäische Zentralbank (EZB) verfolgt – wie andere Notenbanken auch – bereits seit Längerem eine ausgesprochene Niedrigzinspolitik. Trotzdem ist die Inflation im Euro-Raum bisher überschaubar geblieben. Die Zinsen bewegen sich allerdings kontinuierlich unter dem Inflationsniveau. Dies führt de facto zu einer Lage, wie sie für eine Finanzrepression kennzeichnend ist. Anhänger der Finanzrepressions-These verweisen darauf, dass im Zeitablauf immer neue Maßnahmen erforderlich seien, um das ‚künstliche‘ Niedrigzinsniveau aufrechtzuerhalten. Auch dafür finden sich in der Realität Belege. Die fortgesetzten Leitzinssenkungen und Schuldenaufkauf-Programme lassen sich anführen.
Kapitalverluste sind Realität
Offiziell existiert keine Finanzrepression. Die EZB verweist bei Ihrer Politik des billigen Geldes immer wieder auf das Ziel, günstige Rahmenbedingungen für ein Anspringen der Konjunktur im Euro-Raum zu schaffen. Ob forcierte Niedrigzinsen angesichts der ohnehin schon stark ausgeweiteten Geldmenge hier noch zusätzliche Impulse bewirken können, wird inzwischen allerdings vielfach bezweifelt. Wie immer man zur Finanzrepressions-These stehen mag, an der Tatsache des Kapitalverlusts für Anleger durch die anhaltenden Niedrigzinsen gibt es nichts zu deuten. Und derzeit ist nicht zu erkennen, dass sich daran kurzfristig etwas ändert.