Berlin – Das DIN-A-4-Blatt kennt jeder. Keine Frage: Die meisten Verbraucher verbinden DIN-Normen vor allem mit technischen Standards.
«Es gibt aber auch Empfehlungen für Dienstleistungen», erklärt Matthias Kritzler-Picht vom
Deutschen Institut für Normung (DIN), das gerade sein 100-jähriges Bestehen feierte. Ein Beispiel ist die DIN SPEC 77222. Geregelt wird damit die Analyse der finanziellen Situation von Privathaushalten. «Eine DIN SPEC ist eine Spezifikation, die Basis für eine DIN-Norm sein kann.»
Genutzt wird der Standard seit 2014 in der Beratung von Banken, Versicherungen und Finanzberatern. «Die beste Möglichkeit für eine kundengerechte Finanzanalyse ist ein klar definierter Prozess», erklärt Klaus Möller, Geschäftsführer des Defino Instituts für Finanznorm in Heidelberg und Initiator der DIN SPEC 77222.
Die Spezifikation gibt Beratern einen klaren Prioritäten-Katalog vor mit den Bereichen Sach- und Vermögensrisiko, Vorsorge sowie Vermögensplanung: Wie ist der Kunde versichert? Wie sieht es mit der Altersvorsorge aus? Wurde schon ein gewisses Polster angespart? «Ziel dieser Finanzanalyse ist es, messbare, objektive und am individuellen Bedarf ausgerichtete Empfehlungen zu geben», erklärt Möller. Ein Vorteil aus seiner Sicht: «Wenn die DIN SPEC genutzt wird, ist das Ergebnis der Analyse immer gleich – egal zu welchem Berater Sie gehen.» Bisher ist das allzu oft nicht der Fall.
Diesen Vorteil sieht auch Holger Rohde von der Stiftung Warentest. Der wissenschaftliche Leiter für Versicherungen und Recht ergänzt: «Durch die klare Prioritätensetzung können existenzielle Risiken besser abgesichert werden.» Denn die DIN SPEC 77222 stuft zum Beispiel eine Haftpflichtversicherung als wesentlich wichtiger ein als eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU).
Für Berater kann das ein Nachteil sein. Haftpflichtversicherungen bringen meist weit weniger Provisionen als eine BU. Lars Georg Volkmann, Vertriebsvorstand der Vereinigten Postversicherung (VPV), ist trotzdem von der DIN SPEC überzeugt: «Die Zufriedenheit der Kunden ist gestiegen.» Auch wenn durch die Spezifikation der Aufwand für die Berater deutlich größer ist, der Mehraufwand lohne sich: «Wir haben mehr Umsatz, seit wir die Spezifikation anwenden.» Der Grund: Das Vertrauen der Kunden gegenüber dem Berater steige.
Auch Holger Zitter, Vorstand der Volksbank Emmerich-Rees am Niederrhein, beobachtet, dass sich Kunden eher öffnen, wenn der Berater ihre Finanzsituation nach klaren Kriterien erfasst: «Denn die Bedürfnisse des Kunden stehen jetzt noch mehr im Mittelpunkt.»
Genau diesen Punkt bezweifelt Niels Nauhauser allerdings. «Gute Beratung wird durch die Anwendung der Spezifikation nicht sichergestellt», sagt der Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Seiner Ansicht nach dient sie letztlich nur dem Verkauf von Produkten. «Dem Kunden werden eine Reihe von Lücken aufgezeigt mit dem Ziel diese Punkte nach und nach abzuhaken.» Ob sich die Produkte tatsächlich für den Einzelnen eignen, sei aber nicht gesichert. «Am Ende werden die hauseigenen Versicherungen und Verträge verkauft.» Nauhausers Rat: Vor dem Abschluss andere Angebote einholen und vergleichen. Wichtige Voraussetzung dafür: «Das Ergebnis der Analyse sollte frei zugänglich und nutzbar sein», findet Rohde.
Einige Geldinstitute gehen diesen Weg. Dann haben Verbraucher die Wahl, ob sie mit der Analyse in der Hand zu einem Wettbewerber gehen. Das sei aber auch schon vor Einsatz der Spezifikation schon so gewesen. «Somit stellt dies für uns kein Problem dar», sagt Zitter.
Die DIN SPEC 77222 wird in naher Zukunft allerdings schon wieder verschwinden – sie soll von einer Norm abgelöst werden. «Die Spezifikation ist vergleichbar mit dem Bachelor-Abschluss», sagt Möller. «Die Norm ist dann so etwas wie der Master.» Der Entwurf für die Norm DIN 77230 soll im Frühjahr 2018 veröffentlicht werden.
Fotocredits: Rainer Berg,Deutsches Institut für Normung,Defino,Sebastian Berger,Volksbank Emmerich-Rees eG,Verbraucherzentrale BW,Stiftung Warentest
(dpa/tmn)