Frankfurt/Main – Bislang hält die Europäische Zentralbank (EZB) noch an ihrer Nullprozentpolitik fest. Doch es gibt erste Anzeichen dafür, dass sie ihre Zinspolitik bald ändern könnte:
«Die EZB hat bereits im April dieses Jahres mit der Reduktion des monatlichen Anleihenkaufprogrammes um 20 Milliarden auf 60 Milliarden Euro faktisch mit dem Tapering begonnen», berichtet Tobias Spies von der Münchner Vermögensverwaltung Huber, Reuss & Kollegen.
Der Begriff Tapering steht für das allmähliche Herunterfahren der Anleihenkäufe Richtung null. «Zwar betont die EZB immer wieder, dass wenn nötig, sie die Käufe wieder erhöhen werde», fügt Spies hinzu. Derzeit sieht es aber nicht danach aus.
Die Wirtschaft im Europa-Raum wächst, und das erklärte Ziel der EZB, eine Inflationsrate von leicht unter zwei Prozent in Europa zu erreichen, scheint greifbar nah. Frank Wieser, Geschäftsführer der PMP Vermögensmanagement in Düsseldorf, gibt zu bedenken: «Den Marktteilnehmern muss klar sein, dass es um eine dauerhaft höhere Inflation im Euroraum geht und nicht um ein punktuelles Erreichen der Zwei-Prozent Marke.»
So entschied die
EZB vor kurzem, den Leitzins im Europaraum auf einem Rekordtief von null Prozent zu lassen – und bekräftigte damit ihre bisher expansive Ausrichtung. Viele Ökonomen – so etwa auch die meisten Volkswirte der Mitgliedsinstitute des Bundesverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands
(VÖB) – rechnen dennoch damit, dass die EZB im kommenden Jahr die Volumina ihrer Anleiheankäufe verringern wird. Vorausgesetzt, Inflation und Wirtschaftswachstum entwickeln sich weiterhin positiv.
Doch welche Auswirkungen hätte das Tapering? «Ein zu abruptes Ende des Anleihenkaufprogrammes könnte Turbulenzen auslösen», sagt Annabel Oelmann von der Verbraucherzentrale Bremen. «Deshalb vermute ich, dass frühestens ab März 2018 mit einem signifikanten Rückgang zu rechnen ist.» Auf dieses Datum deuten auch Termin-Wetten auf Kursentwicklungen an den Börsen hin.
Oelmann ist insgesamt zuversichtlich: «Würde der Leitzins moderat steigen, könnte der Schrecken von Negativzinsen für Anleger verblassen.» Die Geldinstitute passen ihre Zinsen erfahrungsgemäß nicht sofort an. Dennoch könnten Sparer dann mit sicheren Zins- und Sparanlagen ihrer Einschätzung nach mit einer höheren Verzinsung rechnen. «Kürzlich reichten schon Andeutungen, dass sich die lockere Geldpolitik ändern könnte und 10-jährige Anleihen stiegen im Kurs prompt an», erzählt Oelmann.
Auch die Verzinsung bei Anleihen könnte langfristig steigen. Oelmann warnt jedoch: «Ein zu schneller und starker Anstieg des Zinsniveaus könnte negative Auswirkungen haben, dass beispielsweise der Kurs bisher niedrig verzinster Anleihen in Rentenfonds erst mal stark fällt.» Inhaber von Rentenpapieren würden das zu spüren bekommen.
Für welche Anleger besteht also Handlungsbedarf? «Handlungsbedarf ergibt sich allenfalls, wenn Sie in zu lang laufenden Anleihen investiert sind oder länger laufende Refinanzierungen anstehen», lautet die Einschätzung von Dieter Helmle, Vorstand der Capitell Vermögens-Management AG in Frankfurt.
Spies wendet ein: «Sollten die Aussagen auf ein schnelleres Ende des Anleihekaufprogramms hindeuten, könnte es an den Märkten volatiler werden.» Mit möglichen Kursschwankungen rechnet auch Oelmann: So könnten sich die Aktienkurse durch Zuspitzung der Ereignisse deutlich nach unten bewegen.
Lothar Koch von GSAM + Spee Asset Management AG in Düsseldorf verweist auf Beispiele aus der Vergangenheit: «Allein Draghis Andeutung im Juni, wonach die ultralockere Geldpolitik der EZB ein Ende haben könnte, ließ den Euro sprunghaft steigen und den Dax vom Höchststand um knapp 1000 Punkte fallen.»
Um Kursschwankungen zu kompensieren, rät Oelmann, dass Anleger ihr Geld auf verschiedene Laufzeiten aufteilen. Spies empfiehlt Privatanlegern, «sich nicht von Markthysterien anstecken zu lassen». Auch Markettiming sei in diesem Falle «Größenwahn, denn zu hoffen, ich verkaufe jetzt, um dann in ein paar Tagen oder Wochen günstiger einzusteigen, funktioniert eigentlich nur in der Theorie».
Nach Einschätzung der VÖB-Ökonomen würden die Tapering-Auswirkungen auch dadurch abgemildert, dass es sich bei der Verringerung der Anleihekäufe um keine Überraschung handelt. «In der Regel sind die Auswirkungen der EZB-Entscheidungen nur von kurzfristiger Dauer», sagt Spies. «Denn die Märkte besinnen sich in der Regel auf die Prognose von wirtschaftlichen Entwicklungen und Unternehmensergebnissen.»
Oelmanns Tipp: Sparer sollten auf die reale Rendite achten – denn die zeigt die tatsächliche Verzinsung von Sparanlagen unter Berücksichtigung der Inflationsrate. «Viele Sparer haben ihr Geld heute schon auf Sparbüchern liegen, auf denen es nur noch 0,05 Prozent Zinsen gibt», erklärt Oelmann und weist auf den Wertverlust hin: «Da der Zinssatz unter der Inflationsrate liegt, verlieren die Sparer faktisch damit sogar heute schon Geld».
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(dpa/tmn)